Soeben wurde der aktuelle Newsletter für November 2021 versendet. Hier informieren wir Sie gerne über bevorstehende Veranstaltungen und haben einige spannende Literatur-, Podcast- und Doku-Empfehlungen für Sie zusammengestellt.
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Liebe Mitglieder und Interessierte,
unsere Gedenkveranstaltung, in der wir am 9. November in Kooperation mit der Synagogen-Gemeinde Köln an die Opfer des Novemberpogroms 1938 und der Shoa gedachten, liegt nur wenige Tage zurück. Ein zentrales Thema war der Antisemitismus der Gegenwart. Dabei waren sich alle Redner einig, dass es dringend geboten sei, dem wachsenden Antisemitismus Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig kamen alle zu dem Schluss, dass die Maßnahmen und Angebote der letzten Jahre dafür nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund lässt sich fragen, was die oft zitierte Mahnung „Wehret den Anfängen“ heute meint: Einerseits haben sich laut den aktuellen Fallzahlen die antisemitischen Vorfälle in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Andererseits zeigen Studien zum Antisemitismus in der Bevölkerung konstant hohe Zustimmungswerte.
Anhand des Gedenktages lassen sich aber auch Verschiebungen im bundesdeutschen Erinnerungsdiskurs aufzeigen. Dies lässt sich an zwei zentralen Strängen der gegenwärtigen Debatte aufzeigen: So würdigte Bundespräsident Steinmeier den 9. November als bedeutsamen und „ambivalenten Tag“, der für drei einschneidende Daten in den Jahren 1918, 1938 und 1989 stehe. Für Steinmeier bilden die Auseinandersetzung mit dem Novemberpogrom und die Shoah „identitätsstiftende“ Elemente des nationalen Selbstverständnisses. An dieser Indienstnahme der Shoah für die „deutsche Identität“ zeigt sich allerdings ein symbolpolitischer Charakter des Gedenkens, der vor allem dann deutlich wird, wenn es darum geht, ernsthafte Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen – zum Beispiel im Rahmen der konkreten Umsetzung von noch ausstehenden Entschädigungszahlungen. Oder bei den immer noch offenen Rentenansprüchen jüdischer Kontingentflüchtlinge bzw. dem unzureichenden Schutz jüdischer Einrichtungen. Hier gibt es eine Diskrepanz zwischen Rhetorik und Realität.
Ein zweiter Strang der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird immer stärker von der Neuen Rechten in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht. Von diesem Milieu wird eine „erinnerungspolitische Wende um 180-Grad“ gefordert – und somit letztlich ein Ende der historischen Aufarbeitung der Shoa. Ziel ist die Schaffung einer geschönten deutschen Identität. Studien zeigen, dass ein erschreckend relevanter Anteil der deutschen Bevölkerung einem solchen faktischen Schlussstrich positiv gegenübersteht.
Ein kritisches Gedenken, dem wir uns verpflichtet fühlen, sollte hingegen über die Mechanismen und die gesellschaftlichen Bedingungen des Antisemitismus aufklären – damit nicht einer Wiederkehr des Verdrängten Vorschub geleistet wird.
Dieses kritische Gedenken und Aufarbeiten werden wir im nächsten Jahr mit Veranstaltungen zur Entwicklung der Erinnerungskultur der Gegenwart aufgreifen. Wir widmen uns dabei der Debatte über das „multidirektionale Erinnern“ oder der Kontroverse zum Verhältnis von Shoah und Kolonialismus. Wir wollen uns diesen Fragestellungen intensiver widmen und hoffen, mit unserer Arbeit wichtige Impulse auch für den städtischen Diskurs zu liefern.