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Liebe Mitglieder und Interessierte,
wir alle wissen, dass Menschen sich irren können und häufig tut man gut daran, ihnen eine zweite Chance einzuräumen. Das gilt insbesondere für Verfehlungen im Jugendalter. Tatsächlich gibt es einige beeindruckende Ausstiegs-Biografien, etwa von ehemaligen Neonazis, die ihren Werdegang reflektiert haben und heute wertvolle Aufklärungsarbeit leisten. Entscheidend ist hierbei die tatsächliche Bereitschaft an sich zu zweifeln, die eigenen Taten anzuerkennen und einen wirklichen Einstellungs- und Verhaltenswandel zu vollziehen. Die von den Medien in derartigen Fällen häufig herbeigesehnte „Entschuldigung“ bleibt dagegen oft nur ein billiges Lippenbekenntnis.
Jüngst für Schlagzeilen gesorgt hat der Fall Aiwanger, dem vorgeworfen wird, in seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt mit widerlichen Texten verbreitet zu haben. Es handelt sich hierbei um ein aktuelles Beispiel für eine gesellschaftliche Debatte zum verantwortungsvollen Umgang mit Antisemitismus – auch in der eigenen Lebensgeschichte.
Solche Debatten reichen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurück, wobei eine tatsächliche Aufarbeitung des Geschehenen allzu oft verweigert wurde. Früh wurden Rufe nach einem Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit laut, und mit dem sogenannten sekundären Antisemitismus entstand eine Form der Judenfeindschaft, deren Kernelement bis heute die Erinnerungsabwehr ist, wie wir sie sogar in materieller Form z.B. bei der Abwehr von Ansprüchen in der Provenienzforschung erleben – und das fast 80 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft. Statt die eigenen Verbrechen anzuerkennen, wirft man den überlebenden Juden vor, die Erinnerung an den Nationalsozialismus zu instrumentalisieren. Man sieht sich selbst als Opfer einer Schmutzkampagne, während die Distanzierungen von der eigenen Vergangenheit halbherzig bleiben.
Das Wesentliche des aktuellen Falles ist jedoch, dass es erneut – wie schon zuvor mehrfach durch Einzelpersonen des öffentlichen Lebens und zunehmend durch die AfD (und durch die Medien multipliziert) – eine Tabuverschiebung in der Diskussionskultur der deutschen Gesellschaft gegeben hat. Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein hat darauf völlig zurecht hingewiesen. Das bisherige Vorgehen des Vize-Ministerpräsidenten von Bayern, “sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland”, sagte Klein. Die penetrante und peinliche Lügerei und die Verdrehung von Opfer und Täter durch Aiwanger ist im engeren Sinne dabei gar nicht unser Thema. Wichtiger und besorgniserregend ist, dass wieder einmal der bisherige Konsens in Deutschland, die Verantwortlichkeit für und die Einmaligkeit des Holocaust relativiert wurden. In konservativen Medien wurden sogleich Leserbriefe und Kommentare lanciert, die „alles halb so schlimm“-Parolen propagierten und Aiwangers Pamphlet mit der NSDAP- und SS-Zugehörigkeit von Kiesinger, Grass usw. verglichen. Schlimm genug und damals richtigerweise auch in der Öffentlichkeit verurteilt, aber hier ging es plötzlich darum, den Täter zu schützen, ihn vor „ungerechtfertigten“ Angriffen, einer medialen „Hetzkampagne“ in Schutz zu nehmen. Die steigende Zustimmung für den Täter in den Umfragen lassen einen erschaudern.
Es geht aber auch anders! Wir dürfen die vielen tausend Menschen nicht kleinreden, die über Jahrzehnte teilweise gegen erhebliche Widerstände dafür gesorgt haben, dass in Deutschland eine Erinnerungskultur etabliert ist, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt und seine Opfer würdigt. Das ist ein Erfolg, den unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure wie unser Verein über lange Jahre mühsam erringen musste. Umso erschreckender ist es, dass jene Erinnerungskultur immer mehr infrage gestellt wird. Diese Verschiebung des Diskurses verdeutlicht die Notwendigkeit dagegen zu halten, mehr noch: engagiert progressive Impulse zu setzen, wie auch wir es im Rahmen unserer Arbeit immer wieder tun.
In unserer letzten Vorstandssitzung, in Anwesenheit der Generalsekretärin des Deutschen Koordinierungsrates, Ilona Klemens, und OB Henriette Reker, haben wir weitgefächerte Projekte und Programme besprochen, die in den nächsten Monaten anstehen und zu denen wir jeweils gesondert einladen werden. Ohne dass in Köln allzu beliebte Klopfen auf die eigene Schulter können wir doch feststellen, dass wir mit den durch Vorstand und Geschäftsstelle auf den Weg gebrachten Veranstaltungen, die wir häufig mit Kooperationspartnern realisieren, in der Bundesrepublik weit an der Spitze stehen. Allein im laufenden Jahr werden wir erneut mehr als 80 Veranstaltungen unterschiedlichster Art anbieten können.
Ganz besonders hervorheben möchten wir in diesem Zusammenhang den Bürgerverein Köln-Müngersdorf, den wir aufgrund seiner jahrelangen und verdienstvollen Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte und den Opfern im Kontext des Nationalsozialismus in diesem Jahr mit dem Giesberts-Lewin-Preis auszeichnen.
Stattfinden wird die Preisverleihung am 26. September um 19.00h.
Nähere Angaben hierzu entnehmen Sie bitte unserer Einladung in diesem Newsletter.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen!