Prof. Jürgen Wilhelm positioniert sich zum Masterplan der SPD-Landtagsfraktion für ein entschiedeneres Handeln gegen rechtsextreme Strukturen als Reaktion auf den Anschlag in Hanau zur Diskussion im NRW-Landtag
Sehr geehrte Damen und Herren der SPD-Landtagsfraktion,
wir haben mit großem Interesse Ihren „Masterplan gegen Rechtsextremismus“ zur Kennt-nis genommen, der bei uns auf viel Zustimmung stößt. Wir freuen uns, dass Sie den drin-genden Handlungsbedarf gegen Rechtsextremismus anerkennen und mit Ihrem Master-plan einen sehr umfassenden und differenzierten Forderungskatalog vorgelegt haben, der der Bedrohung durch den Rechtsextremismus für unsere Demokratie im Allgemeinen und der Bedrohung für konkrete Einzelne gerecht wird. Nachdem inzwischen mit einer wirklich beunruhigenden Regelmäßigkeit nicht nur rechtsterroristische Netzwerke entdeckt wer-den, sondern auch tatsächlich rechtsextreme Morde stattfinden, während rassistische und antisemitische Einstellungen immer salonfähiger werden, kann es kein „Weiter so!“ mehr geben. Änderungen herbeizuführen ist dabei einerseits die Aufgabe einer demokra-tischen Zivilgesellschaft, aber selbstverständlich auch die Aufgabe ihrer parlamentarischen Vetreterinnen und Vertreter, die in der Pflicht stehen die Demokratie zu verteidigen. Ih-rem Forderungskatalog schließen wir uns daher umfänglich an. Zugleich möchten wir im Folgenden auf vier Punkte noch ausführlicher eingehen, die für die Arbeit der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit von zentraler besonderer Bedeutung sind und die wir seit vielen Jahren ins Zentrum unseres Engagements gesetzt haben
1. Schule und Antisemitismus/Rassismus
In den letzten Monaten haben zahlreiche Studien darauf hingewiesen, dass der Ort Schule einer der problematischsten Orte darstellt, an denen Rassismus und Antisemitismus viru-lent sind. Schon vor einigen Jahren forderte der „Unabhängige Expertenkreis Antisemitis-mus“, aber auch andere auf Rassismus entwickelnde Studien folgende Empfehlungen:
• die nachhaltige Förderung fester, langfristiger Kooperationen zwischen Regelinsti-tutionen – Schulen,
• Träger der Kinder- und Jugendhilfe, konfessionelle Träger, Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege,
• Jugend- und Sozialämter –, und spezialisierten Bildungsträgern;
• Antisemitismus- und Rassismusprävention als ein eigenständige (pädagogische) Handlungsfelder auszubauen und stärker zu fördern;
• insbesondere Fort-, Weiter- und Ausbildungsangebote auszubauen und zu för-dern, die sich der Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion der pädagogischen Fachkräfte widmen;
• Angebote zur Fort- und Weiterbildung von Lehr- und Fachkräften – hier auch der Polizei, Jugend(sozial)Arbeit, Verwaltung, Wissenschaft, Medien – stärker auszu-bauen und zu fördern.
• Als eine zentrale Forderung wird gleich zu Beginn des Berichts genannt: „Der Ex-pertenkreis fordert die Politik auf, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für bür-gerschaftliche Akteure zu garantieren. Damit verbunden ist die Schaffung von Strukturen, um Wissen und Erfahrungen, die in Modellvorhaben gesammelt wer-den, in die Regelstrukturen zu überführen (v. a. Schule).“
Wir möchten anregen, eine solche in die lokalen Strukturen eingebundene präventive schulische Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und Rassismus in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Dies gäbe zivilgesellschaftlichen Organisationen die Möglichkeit, unsere über die Jahre erworbenen Kompetenzen zu nutzen um zu einem Wandel des gesellschaftlichen Klimas beizutragen. Nordrhein-Westfalen mit Köln als Heimat der ältesten jüdische Ge-meinde Deutschlands könnte dadurch eine Vorbildfunktion im Kampf gegen Antisemitis-mus und Rassismus übernehmen.
2. Fortbildungen für Polizei und Verfassungsschutz
Unserer Erfahrung nach gibt es durchaus engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Polizei und in staatlichen Behörden, die sich für eine diskriminierungsfreie Gesell-schaft einsetzen möchten. Zugleich beobachten wir immer wieder auch erschreckende Leerstellen, d.h. eine mangelnde Sensibilisierung für Rassismus und Antisemitismus, mit-unter auch offen rassistische und antisemitische Einstellungen bei Behördenmitarbeite-rinnen und Behördenmitarbeitern selbst. Dies ist insofern wenig verwunderlich, als es sich bei Rassismus und Antisemitismus um gesamtgesellschaftliche Probleme handelt. Nichts-destotrotz halten wir es für dringend geboten, nicht zuletzt angesichts der aufgedeckten Skandale und Ungereimtheiten im Zuge der NSU-Ermittlungen, dass Staatsbeamtinnen und Staatsbeamte, die als solche die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidi-gen sollen, durch eine systematische Integration entsprechender Angebote in der Ausbil-dung, aber auch später, für Rassismus und Antisemitismus zu sensibilisieren.
3. Förderung und Entfristung von Demokratieprojekten
Während nach jedem rechtsextremen Anschlag öffentlich die Zivilgesellschaft aufgefordert wird, sich deutlich gegen Rechtsextremismus auszusprechen, kämpfen abseits der Kame-ras viele Demokratieprojekte um ihre Fortexistenz. Während es eigentlich an der Zeit wä-re, im Rahmen einer großangelegten Demokratieoffensive die entsprechenden Angebote deutlich auszubauen, findet politische Bildungsarbeit vor allem im Rahmen einer meist prekären Projektarbeit statt. Die Projekte erhalten häufig nur eine Förderzusage für ein Jahr, mitunter für drei oder vier Jahre, aber nur ausgesprochen selten für einen längeren Zeitraum. Dadurch gehen regelmäßig Strukturen und Kompetenzen verloren, darüber hin-aus wechseln viele im Bereich erfahrene und qualifiziert Tätige mit der Zeit in ein anderes Berufsfeld, weil sie sich nicht länger vorstellen können, dauerhaft einer stets befristeten und damit unsicheren, zudem oftmals schlecht bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Unab-hängig davon stellt die Notwendigkeit, immer wieder um die eigene Fortexistenz kämpfen zu müssen, indem Anträge gestellt oder mühsam Spenden eingeworben werden, eine ho-he bürokratische Belastung für Projekte dar, die ihre Energie stattdessen viel lieber und sinnvoller in die politische Bildungsarbeit investieren würden. Einer der wichtigsten Schritte im Zuge einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wäre daher, die Projekte, die es bereits gibt und die hervorragende Arbeit leisten, zu ent-fristen und finanziell besser auszustatten. Denn es sind diese Projekte, deren Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter in Schulklassen gehen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie z.B. Lehrkräfte fortbilden, öffentliche Veranstaltungen organisieren, Bücher und Handreichungen publizieren, Ausstellungen erarbeiten und vieles mehr, die das nötige Knowhow versammeln und von denen gesamtgesellschaftliche Veränderungen ausgehen könnten, sofern sie endlich entsprechend ausgestattet werden würden.
4. Unterstützung von Betroffenen
Wir wissen aus unserer alltäglichen Arbeit, dass nur ein kleiner Teil der rassistischen und antisemitischen Vorfälle tatsächlich zur Anzeige gebracht werden. Dies liegt einerseits da-ran, dass solche Anzeigen, zum Beispiel im Falle von entsprechenden Schmierereien, häu-fig im Sande verlaufen; teilweise möchten sich die Betroffenen jedoch auch nicht dem Unverständnis und mitunter Spott von Polizistinnen und Polizisten aussetzen, die rassisti-sche und antisemitische Vorfälle für vernachlässigbare Bagatelldelikte halten, sofern es sich nicht um Gewalttaten handelt. Andererseits bewegen sich viele rassistische und anti-semitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und werden daher nicht erfasst. Wir halten es angesichts dessen für notwendig, dass für Betroffene flächendeckend Bera-tungsangebote zur Verfügung stehen und darüber hinaus Meldestellen eingerichtet wer-den, die entsprechende Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen. Nur so ist es möglich, einen tatsächlichen Überblick über die Virulenz menschenfeindlicher Ein-stellungen zu erhalten, über die die offiziellen Statistiken nur sehr begrenzt Auskunft ge-ben können, die daher zur Bagatellisierung neigen.
Wir sind davon überzeugt, dass ein Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus im We-sentlichen auf den drei Säulen basieren muss, die wir näher beschrieben haben. Der Kampf gegen Rechtsextremismus kann nur erfolgreich sein, wenn 1.) der Rechtsstaat das Problem anerkennt und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, zu denen selbstver-ständlich auch eine konsequente Strafverfolgung gehört, gegen Rechtsextremismus und insbesondere Rechtsterrorismus vorgeht. Dies setzt voraus, dass die zuständigen Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter entsprechend fortgebildet werden. Rechtsextreme Bestre-bungen innerhalb von Behörden oder auch der Bundeswehr dürfen nicht toleriert wer-den. 2.) darf es nicht bei öffentlichen Lippenbekenntnissen bleiben. Einen Kampf gegen Rechtsextremismus zu fordern, während zeitgleich Projekte, die genau diese Auseinander-setzung führen, vor dem Aus stehen, ist mindestens paradox. Stattdessen müssen die Demokratieprojekte kontinuierlich gefördert und ausgebaut werden, die es bereits gibt und die schon heute wichtige Arbeit leisten. Auch darüber hinaus müssen Möglichkeiten vor allem finanzieller Art geschaffen werden, die es auch kleineren Initiativen erlauben, entsprechende Angebote gegen Rechtsextremismus machen zu können. 3.) müssen die Betroffenen, die tagtäglich Diskriminierung und mitunter Gewalt erfahren, ernstgenom-men, unterstützt und einbezogen werden. Dabei müssen Rassismus und Antisemitismus deutlich als solche deutlich benannt werden. So waren die Opfer der rassistischen Gewalt in Hanau keine „Fremden“, die aus „Fremdenfeindlichkeit“ ermordet wurden, sondern Deutsche, die ein rechtsextremer Täter aus rassistischen Gründen getötet hat. Der Rechtsextremismus ist kein isoliertes Phänomen, sondern beruht auf menschenfeindli-chen Einstellungen, die auch von großen Teilen der Bevölkerung, die sich nicht als rechts-extrem begreifen, mehr oder weniger geteilt werden. Ein Maßnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus hat in diesem Sinne einerseits rechtsextreme Strukturen in den Blick zu nehmen, aber auch rassistische Diskurse in der Mehrheitsbevölkerung.
Wir hoffen, Ihnen durch unsere Rückmeldung einerseits zusätzliche Impulse geben zu können, sie andererseits aber auch in Ihrem Vorhaben, stärker gegen Rechtsextremismus vorzugehen, zu ermutigen. Wir begrüßen Ihr Engagement und halten dieses für unbedingt notwendig. Der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung, die in einer ständigen Zunahme rechtsextremer Gewalt und Morde resultiert, muss dringend etwas entgegengesetzt wer-den. Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, das, was wir Demokratie und demokratisches Miteinander nennen, mit aller Kraft zu schützen.