Anlässlich des 8. Mai nimmt der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, wie folgt Stellung zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus:
“Heute vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, endeten mit der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands sowohl der zweite Weltkrieg als auch der Holocaust. Für all diejenigen, die unter den nationalsozialistischen Verbrechen gelitten und sie überlebt hatten, ging dieser Tag als Tag der Befreiung in die Geschichte ein. Auch für diejenigen, die schon etwas früher als Überlebende der Konzentrationslager deren Befreiung miterlebt hatten, markierte der 8. Mai 1945 die endgültige Niederlage des Nationalsozialismus und war daher von besonderer Bedeutung. Für viele andere hingegen war es da bereits zu spät:
Im vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelösten Weltkrieg starben insgesamt über 60 Millionen Menschen. Etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden im Zuge der Shoah ermordet, außerdem töteten die Nazis hunderttausende Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung sowie politische Gegner.
Den 8. Mai würdig zu begehen bedeutet daher nicht nur das Ende des Nationalsozialismus zu feiern, sondern auch all jener zu gedenken, d.h. um all jene zu trauern, die ihn nicht überlebten. Für sie gab es keine Befreiung, sondern nur den Tod. Auch sollte nicht vergessen werden, dass die Schrecken des Nationalsozialismus und der Lagerhaft in ihren Opfern zeitlebens nachwirkten und nicht Wenige in den Suizid trieben, noch als schon lange keine Hakenkreuzfahnen mehr wehten. Dennoch ist es wichtig, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu würdigen und dabei all jenen zu danken, die diesen Tag unter Einsatz ihres Lebens ermöglichten. Am 8. Mai 1945 endete mit dem Nationalsozialismus und dem zweiten Weltkrieg die größte der Menschheitsgeschichte. Es ist daher für uns selbstverständlich, uns positiv auf diesen Tag zu beziehen und wir würden es begrüßen, würde er zum bundesweiten Feiertag erklärt.
Zugleich nehmen wir besorgt zur Kenntnis, dass die Stimmen, die diesen Tag in geschichtsrevisionistischer Absicht umdeuten wollen, zunehmend lauter werden. So hat etwa Alexander Gauland, früherer Vorsitzender der AfD, in Bezug auf den achten Mai von einer „absoluten Niederlage“, einem „Verlust von großen Teilen Deutschlands“ und dem Verlust von „Gestaltungsmöglichkeiten“ gesprochen. Wir finden solche Aussagen unerträglich. Wer seine „Gestaltungsmöglichkeiten“ zur industriellen Vernichtung von Millionen Menschen nutzt, hat kein Recht ihren Verlust zu betrauern.
Wir bezweifeln nicht, dass tatsächlich die große Mehrheit der Deutschen, die schließlich den Nationalsozialismus befürwortete, im Jahr 1945 dessen Ende nicht als Befreiung, sondern als Niederlage erlebt hat. Diese Menschen jedoch, an denen deutlich wird, dass der Nationalsozialismus mehr war als bloß die Herrschaft einiger Weniger, sind nicht unser Bezugspunkt; wir fühlen uns stattdessen jenen verbunden und verpflichtet, die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen wurden. Wir stehen außerdem auf der Seite derjenigen, die nach wie vor von Antisemitismus und Rassismus bedroht sind. Auch heute noch äußern sich Rassismus und Antisemitismus immer wieder mörderisch wie die Anschläge in Halle und Hanau verdeutlicht haben. Der achte Mai ist in diesem Sinne nicht nur von historischer, sondern auch von aktueller Bedeutung – als Tag des Sieges, aber auch der Mahnung, in unseren Anstrengungen nicht nachzulassen und weiterhin für ein demokratisches Miteinander einzutreten.”